Echt fr?nkisch

Autorin dieses Artikels

Univ.-Prof. Dr. Heidrun Alzheimer

Lehrstuhl für Europ?ische Ethnologie
Am Kranen 12
96047 Bamberg

Website von Prof. Dr. Alzheimer

?ber das Immaterielle Kulturerbe in Franken

Was Identit?t und Gemeinschaft stiftet, sind h?ufig nicht die Monumente und steinernen Wahrzeichen eines Ortes, sondern das gelebte Leben darin; die Aktivit?ten, Br?uche und Rituale. Aber wie sichert man dieses sich im Fluss befindliche Kulturgut? Eine Initiative der UNESCO hilft, Kulturformen zu dokumentieren und zu erhalten. Beispiele aus Franken zeigen, wie vielf?ltig und wertvoll dieses Immaterielle Kulturerbe ist.

Seit 2003 rückt die UNESCO kulturelle Ausdrucksformen wie Br?uche, Feste, Musik und traditionelle Handwerkstechniken in den Blick der Welt?ffentlichkeit. ?berliefertes Wissen und K?nnen sowie Alltagskulturen sollen als sogenanntes Immaterielles Kulturerbe erhalten und gef?rdert werden. Im Zentrum stehen von Generation zu Generation kreativ weitergetragene Aktivit?ten, die Gemeinschaftsgefühl, Identit?t und Kontinuit?t vermitteln.

Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem UNESCO-?bereinkommen 2013 beigetreten. Als erste deutsche Ph?nomene wurden 2016 die Genossenschaftsidee und die Falknerei in die internationale repr?sentative Liste des Immateriellen Welterbes aufgenommen; im Dezember 2017 folgten Orgelbau und Orgelmusik als dritter deutscher Beitrag.

Zentrales Element der Umsetzung in Deutschland ist ein bundesweites Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Darin befinden sich derzeit 68 Kulturformen und vier Erhaltungsprogramme, sieben dieser Kulturformen stammen aus Franken, au?erdem ist die Genussregion Oberfranken eines der vier deutschen Gute-Praxis-Beispiele.

Auf L?nderebene werden die im Freistaat Bayern verorteten immateriellen Ausdrucksformen in einem eigenen Bayerischen Landesverzeichnis dokumentiert. Fünf dieser fr?nkischen Kulturph?nomene werden hier portr?tiert, eine Liste aller in Franken beheimateten Ausdrucksformen, die bislang in das bayerische Verzeichnis aufgenommen worden sind, findet sich am Ende des Artikels.

Bamberg als G?rtnerstadt

Der urbane Erwerbsgartenbau in der fruchtbaren Bamberger Regnitz-Aue ist seit dem 14. Jahrhundert belegt und konzentrierte sich bis ins 19. Jahrhundert auf die Produktion von Gemüsesaatgut und Sü?holz. Europaweit exportierten die Bamberger G?rtner Salat- und Kohlsorten, Spargel, Rettich, Zwiebeln, Knoblauch, Sü?holz, Petersilie und Rote Beete. Noch heute produzieren sie nach bew?hrter Tradition und vermarkten ihre Waren haupts?chlich auf dem Grünen Markt, in Hofl?den und Restaurants.

Ist die g?rtnerische Nutzung kostbarer innerst?dtischer Grundstücke über Jahrhunderte hinweg für sich genommen bereits eine Sensation, so lie? sich das Expertengremium auch von den vielf?ltigen sozialen, religi?sen und korporativen Traditionen der G?rtner beeindrucken. Diese manifestieren sich unter anderen in Wohnformen, Kleidung und Sprache. Sowohl für die angebauten Sorten als auch für Werkzeuge und deren Anwendung sind Bezeichnungen im lokalen Dialekt üblich.

Zu Fronleichnam und anderen repr?sentativen Anl?ssen wird eine 1891 eingeführte Festzugstracht getragen. Die historische Arbeitskleidung besteht aus einer Bluse mit ergonomisch weiten ?rmeln und einem Kopftuch als Sonnenschutz. Identit?tsstiftend wirkt auch der Zusammenschluss der G?rtner in Vereinen.

G?rtner- und H?ckermuseum in Bamberg

Ein Kinderfest stiftet Identit?t

Das historische Festspiel Dinkelsbühler Kinderzeche geht auf ein Schulfest des 16. Jahrhunderts zurück, das im Zeitalter des Historismus durch ein Festspiel erg?nzt wurde, welches die sagenhafte Aufhebung der Schweden-Belagerung von Dinkelsbühl im Jahr 1632 durch kindliche Friedensdiplomatie zum Thema hat. An dem Festspiel – j?hrlich an den Wochenenden um den dritten Montag im Juli – wirken Schülerinnen und Schülern der Klassen 1 bis 8 aller Dinkelsbühler Schulen mit sowie weitere 1.100 Aktive.

Um dem Ursprung des Festes als Kinderfest Rechnung zu tragen, bekommen alle teilnehmenden Kinder eine mit Sü?igkeiten gefüllte Tüte, die sogenannte "Gucke". Au?erdem werden an mehreren Tagen historische Kinder- und Reigent?nze aufgeführt. Jeweils um Ostern herum beginnen die Dinkelsbühler mit den Vorbereitungen für das Fest, das den im Glauben tief gespaltenen Bürgern die M?glichkeit er?ffnet hat, konfessionsübergreifend die Geschichte ihrer Stadt zu feiern.

Liebe auf den ersten Lindentanz

In Limmersdorf wird allj?hrlich zur Kirchweih in der dafür eigens als ?Ballsaal‘ gestalteten Krone des 1686 gepflanzten Lindenbaumes musiziert und getanzt. Nachweislich seit 1729 ist die Lindenkirchweih der unbestrittene gesellschaftliche H?hepunkt des d?rflichen Lebens: Jugendliche ?debütieren‘ beim Lindentanz, viele lernen hier die Partnerin oder den Partner fürs Leben kennen.

Tanzlinden erkennt man an ihren ?geleiteten“ ?sten, die ein s?ulengestütztes Tanzpodium tragen. Der Wuchs des Baumes wird so gelenkt, dass ein regelrechter Baumsaal entsteht. Tanzlinden sind somit nicht nur Natur-, sondern auch Baudenkm?ler. Die Verbindung von Natur-, Architektur- und Kulturgut ist einzigartig und von weit über die D?rfer hinausgehender Bedeutung. Tanzlinden finden sich heute noch in den oberfr?nkischen Ortschaften Peesten, Langenstadt sowie in Effelder, Sachsenbrunn und Oberstadt in Thüringen.

Genossenschaftlich Wirtschaften: die Osingverlosung

Der Osing ist eine gemeindefreie Hochfl?che von 274 ha oder 213 Feldanteilen im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim. Seit mehr als 550 Jahren existiert die genossenschaftliche Praxis, den gemeinschaftlichen Besitz in den D?rfern Humprechtsau,Krautostheim, Herbolzheim und Rüdisbronn alle zehn Jahre durch ein genau festgelegtes Losverfahren neu unter den b?uerlichen Rechte-Inhabern zu verteilen.

Nach zweiw?chiger Vorbereitung und Vermessung der Ackerfl?che durch jeweils einen Vertreter aus jedem Dorf findet die Verlosung im Osinghaus statt. Hier treffen sich Nutzungsberechtigte, Osingverwaltung, G?ste und Medien, um an der von ?rtlichen Musik- und Gesangsvereinen begleiteten Verlosung teilzunehmen. Ab mittags k?nnen zugeloste Felder getauscht werden. Ein ausgeklügeltes System soll sicherstellen, dass fruchtbare und weniger geeignete Felder gerecht verteilt werden. Vor- und Nachteile der Grundstücke werden mit Geld ausgeglichen und übrige Nutzungen wie Obstbaumertr?ge, Karpfenweiher und Jagdrechte werden von der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten verpachtet.

Brunnengemeinschaften

Wunsiedel feiert allj?hrlich am Samstag vor Johanni ein Brunnenfest, bei dem die 35 ?ffentlichen Brunnen der Stadt mit Blumen und Lichtern dekoriert werden. Es basiert auf der Sage, nach der die Wunsiedler im 18. Jahrhundert nach einer Dürre die Brunnen mit Arnikakr?nzen und Blumen geschmückt h?tten, woraufhin diese wieder gesprudelt haben sollen. Das Fest ist seit 1833 belegt. Einheimische und G?ste ziehen mit musikalischer Begleitung von einem Brunnen zum n?chsten.

Jedem dieser Brunnen ist heute eine für den Schmuck zust?ndige Brunnengemeinschaft zugeordnet, die sich aus Vereinen, Anwohnern, Firmen und Einzelpersonen zusammensetzt. Auch Kinderg?rten und Jugendzentren bilden Brunnengemeinschaften, wodurch die Freude an dem Brauch schon früh vermittelt wird. Die Brunnengemeinschaften treffen sich im Vorfeld, um Motive zu finden, Accessoires vorzubereiten, Blumen zu pflücken und die Brunnen herzurichten. Brunnengemeinschaften haben keine Vorsitzenden, bei eventuellen Meinungsverschiedenheiten finden demokratische Abstimmungen statt. In der Vorbereitung und Durchführung des Brunnenfestes entstehen Freundschaften, die auch über das Fest hinaus bestehen.


Alle bislang im Bayerischen Landesverzeichnis erfassten immateriellen Ausdrucksformen in Franken: