Vom Ich zum Wir
Manchmal muss man weit in die Vergangenheit zurückblicken, um die Gegenwart zu verstehen: Die 28. Hegelwoche an der Universit?t Bamberg endete am Donnerstag, den 29. Juni 2017, mit einer kulturphilosophischen Zeitreise auf den Spuren der europ?ischen Identit?t. Zum Abschluss der diesj?hrigen Hegelwoche zeichnete der britische Germanist und Philosoph Prof. Dr. Nicholas Boyle in seinem Vortrag ein historisches Panorama, um die Entstehung Europas zu erl?utern.
Zum Auftakt der Hegelwoche hatte sich bereits Prof. Dr. Norbert Bischof von der Universit?t München dem Ich gewidmet. Auch er reiste in der Zeit zurück und zeigte, wie die Identit?t eng mit der Evolution und der Suche nach einer Balance zwischen Instinkt und Vernunft im Menschen verbunden ist. Gefolgt war der Vortrag von Prof. Dr. Susan Neiman vom Potsdamer Einstein Forum, die den Blick auf die nationale Identit?t gelenkt hatte. Für die Philosophin bedeutete ?Deutsch-Sein“ vor allem ein stets kritischer, wachsamer Umgang mit der eigenen Geschichte.
Europ?ische Identit?t vor fast 3.000 Jahren grundgelegt
Und auch zum Abschluss der Hegelwoche stand die Vergangenheit wieder im Mittelpunkt. Nicholas Boyle von der Universit?t Cambridge blickte weit zurück in seinem Vortrag zur Entstehung der europ?ischen Identit?t: beginnend beim jüdischen K?nigreich in der assyrischen Epoche über das Mittelalter bis hin zur Frühen Neuzeit. Aber, so die Pointe seines Vortrags, diese Identit?t entstand nicht nur in der Zeit sondern durch die Zeit; n?mlich durch ein ganz eigenes Zeitbewusstsein, das sich vor fast 3.000 Jahren im alten Judentum grundgelegt und sich dann im christlichen Kulturraum weiter entwickelt habe. Es gab eine umfassende Zeit als Rahmen, in die man sich und die Schicksale von ganzen Reichen und V?lkern einfügte.
Demnach entstand die europ?ische Idee in frühester Zeit und an die sollte man anknüpfen: ?Die Entstehung der EU sollte den alten europ?ischen Geist wiederbeleben, in dem sich Nationen dadurch definierten, dass sie Teile eines gr??eren Ganzen waren“, schilderte Boyle. Europa sollte in der EU eine Einheit werden, die aus einer nicht reduzierbaren Vielfalt hervorgehe. Somit entwickelte sich die EU nicht nur aus dem Wunsch nach den Vorteilen eines Handelsabkommens. Hegel habe also Recht behalten, fand der britische Philosoph: ?Der Geist Europas ist ein Geist der Vermischung, in dem viele Selbstbewusstseine sich zusammenschlie?en, viele Ichs zu einem Wir beitragen, in dem das Ich nicht verlorengeht – ganz im Sinne Hegels also.“
Den Kriegen folgten die UNO und die EU
Der einzige, gro?e Bruch dieser Idee von Europa entstand im vergangenen Jahrhundert im Imperialismus. W?hrend des Kolonialismus h?tten viele Nationen ihr europ?isches Erbe verloren – und damit das Bewusstsein, als Nation nur innerhalb eines gr??eren Ganzen zu existieren, so Boyle. ?Alle imperialistischen Nationen in Europa strebten damals danach, eine Welt für sich zu sein“, erkl?rte der Brite. Dieser Konkurrenzkampf um Kolonien und nationale Souver?nit?t sowie das Unverm?gen zur politischen Zusammenarbeit im globalen Rahmen l?ste letztlich m?rderische Kriege aus. Den Kriegen folgten institutionelle Neuerungen: Die UNO, der IWF und die GATT, der Vorl?ufer der heutigen Welthandelsorganisation, wurden ins Leben gerufen.
Auch die EU mit ihren übernationalen Strukturen wurde in diesem Rahmen gegründet – um weitere Kriege zu verhindern und um den europ?ischen Geist wiederzubeleben. Die Europ?ische Union sei nichts anderes als ein Modell für die ganze Welt. ?Europ?er sein hei?t nicht, einem bestimmten Erdteil angeh?ren, es hei?t, werdender Weltbürger sein“, sagte der britische Philosoph zum Abschluss.
Mit dem Vortrag von Nicholas Boyle endet die diesj?hrige Hegelwoche. An der Universit?t Bamberg bleibt Europa aber in diesem Sommersemester Thema. Anlass dafür ist der Wissenschaftstag der Metropolregion Nürnberg am 28. Juli 2017, den die Universit?t ausrichtet und an dem sich alles um Europa drehen wird.