Ende der 1980er Jahre machte die amerikanische Kardiologin Marianne Legato eine brisante Entdeckung. Sie erkannte, dass sich ein Herzinfarkt bei M?nnern und Frauen unterschiedlich ?u?ern kann. Die Folge: W?hrend die Brustschmerzen von M?nnern sofort als Herzinfarkt diagnostiziert und entsprechend behandelt werden, kommt es bei Frauen auch heute noch vor, dass ihre Symptome wie Atemnot oder ?belkeit fehlgedeutet und sie im schlimmsten Fall mit Medikamenten gegen Magen-Darm-Probleme nach Hause geschickt werden. Jahrelang fokussierte sich die medizinische Forschung – auch aus Kostengründen – auf M?nner und übertrug die Ergebnisse eins zu eins auf Frauen. Dass Frauen anders auf Arzneimittel reagieren oder eben andere Krankheitssymptome zeigen, wurde erst nach und nach von der Medizin ans Licht gebracht.
Die gender Medizin ist Teil der gender Forschung – jener  Forschungsrichtung also, die in jüngster Zeit vor allem in den Medien  eher kritisiert denn für ihre Erkenntnisse gelobt wird. Nichtsdestotrotz  erf?hrt die gender Forschung in den letzten Jahren eine gro?e  Ausweitung ihrer Gegenst?nde und Fragestellungen. Ihr liegt die Annahme  zugrunde, dass gender eine soziale Markierung darstellt, an die Rollen  und Erwartungen geknüpft werden, die jedoch in modernen westlichen  Gesellschaften zunehmend flexibler gedacht werden k?nnen. Auch wenn die  gender studies weiterhin vor allem in den Kultur-, Sozial- und  Geisteswissenschaf-ten beheimatet sind, so breiten sie sich dennoch mehr  und mehr auf andere Disziplinen aus. Diese Gegebenheit zum Anlass  nehmend, haben die zwei Frauenbeauftragten der Universit?t Bamberg,  Professorin Iris Hermann und Professorin Ute Franz, als H?hepunkt und  Abschluss des ?gender Jahres 2016“ eine Ringvorlesung zum Thema ?gender  Forschung interdisziplin?r“ initiiert. 
Zehn Referentinnen und Referenten aus neun verschiedenen  Fachgebieten, von der Informatik über die Theologie bis zur slavischen  Literaturwissenschaft, stellten ihre aktuellen Forschungsergebnisse in  spannenden Vortr?gen vor und vermittelten so einen Eindruck von der  Vielf?ltigkeit der Genderforschung.
Bereits  für den ersten Vortrag konnte eine auch au?erhalb ihres Fachgebiets  bekannte Wissenschaftlerin gewonnen werden. Die Soziologin Gesa  Lindemann nahm den weiten Weg von Oldenburg auf sich, um zum Thema ?Die  individualisierende Verk?rperung der modernen Geschlechter“ zu  referieren. Sie führte vor, wie und seit wann die duale  Geschlechterordnung in der westlichen Welt zu einem Gemeinplatz und mehr  und mehr naturalisiert wurde. Indem Sie den Entstehungsprozess dieser  der Vorstellung einer Geschlechterdifferenz vorführte, wurde klar, dass  das System der Geschlechterdifferenz nur eine m?gliche Ordnung  darstellt.
Ebenfalls mit Spannung erwartet wurden die beiden Vortr?ge  aus dem Bereich der katholischen Theologie. Die Institution Kirche  steht seit Langem in der Kritik, ein nicht mehr zeitgem??es Verst?ndnis  von der Rolle der Frau zu haben. Umso interessanter war es schlie?lich,  den Vorlesungen von Thomas Wei?er und Stefanie Wahl, beide vom Lehrstuhl  für Theologische Ethik, zu lauschen. W?hrend erstgenannter die Kritik  an der gender Forschung innerhalb der katholischen Kirche und Theologie  rekapitulierte und klarmachte, wie wichtiger gender Forschung selbst für  die katholische Theologie ist, stellte Stefanie Wahl erste Ergebnisses  ihrer Dissertation über die Bedeutung der feministischen  Prekariatsforschung für die theologische Ethik dar.
Nicht minder interessant waren die Vortr?ge aus verschiedenen  Bereichen der Literaturwissenschaft. Angefangen mit dem Vortrag  ?Versehrte M?nnlichkeit in der modernen Literatur und die  Gender-Codierung der Verletzung“ von Torsten Voss, über die von  Stephanie Catani zu Geschlechterkonzepten in der Gegenwartsliteratur  gehaltene Vorlesung bis hin zur Darstellung des Themas ?Das gro?e  Schweigen. Frauen und sexualisierte Gewalt“ durch Elisabeth von Erdmann.  Thorsten Voss verband den Ansatz der gender studies mit den  Erkenntnissen der disability studies, und zeigt auf, wie Behinderung  ebenso wie Weiblichkeit als Mangel durch Fremdwahrnehmung Identit?t  pr?gen kann. Von Versuchen von ?berwindung von Geschlecht in der  deutschsprachigen Gegenwartsliteratur berichtete Stephanie Catani und  Elisabeth von Erdman
Einen weiteren H?hepunkt stellte die Rede von Ute Schmid,  Fakult?tsfrauenbeauftragte der WIAI, anl?sslich des allj?hrlichen  Festaktes der Frauenbeauftragten dar. Auf humorvolle Art und Weise  führte sie den Anwesenden vor Augen, welche Projekte und Studien von  Seiten der Fakult?tsfrauenbeauftragten unternommen werden, um M?dchen  wie Frauen für die Informatik zu begeistern.
?hnlich unterhaltsam ging es auch bei dem Vortrag des Romanisten  Gregor Schuhen zu, was bei dem Vortragstitel ?Fast & Furious &  Female. Wie m?nnlich sind autofahrende Frauen?“ jedoch nicht weiter  verwundern sollte.
Anders als die Referent*innen vor ihr, berichtete die freie  Publizistin Andrea Roedig weniger über eigene wissenschaftliche  Forschungsarbeiten, sondern gew?hrte ihren Zuh?rer*innen in ihrem  Vortrag ?Gender Studies und die Medien“ einen spannenden Einblick in die  Medienwelt. Sie berichtete von der Berichterstattung zum Thema gender  studies und konnte so etwa zeigen, dass sich die breite ?ffentlichkeit  noch schwer tut, die Ergebnisse der gender studies richtig einzuordnen;  die junge Wissenschaft der gender studies hat ihr zufolge noch  eindeutige Probleme, wenn die Ergebnisse der breiten ?ffentlichkeit  vorgestellt werden.
Den Abschluss der Ringvorlesung bildete der Vortrag von Sandra Buchholz zum Thema ?M?dchen auf der ?berholspur? Geschlechterdifferenzen und Bildung in Deutschland“. Die Bamberger Soziologin schaffte es durch ihre alltagsnahe Sprache und klug ausgew?hlte Beispiele, auch Nicht-Soziolog*innen ein Gespür zur Interpretation von Daten aus der Bildungsforschung zu verleihen. Sie machte aber auch deutlich, dass der scheinbare Erfolg, dass mehr und mehr M?dchen einen h?heren Schulabschluss erwerben, sich über den zweiten Bildungsweg in Deutschland wieder revidiert: dort holen mehr und mehr junge M?nner das Abitur nach, so dass es in Studium und Beruf weiterhin eine Disparit?t von Frauen und M?nnern gibt.




