Geschlechtersensibilit?t st?rken

Forschung hat den Anspruch, m?glichst objektiv zu sein. Forschungsergebnisse sollen uns als Gesellschaft voranbringen und werden deshalb als Ausgangspunkt für gesellschaftlichen Wandel und Motor für Innovation gesehen. Doch was ist, wenn Forschungsergebnisse verzerrt sind? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will durch die F?rderung von Strukturprojekten an Universit?ten Geschlechtersensibilit?t in Forschungsvorhaben deutschlandweit st?rken. Bamberg ist mit dem Projekt GENIAL-forschen+ dabei.

Text: Johanna Bamberg-Reinwand
Aus uni.vers Forschung 2024


Die Rolle von Geschlecht in der Forschung

Die konsequente Berücksichtigung der Dimension Geschlecht ist tief in unserem Alltag verwurzelt. Wir unterscheiden Damen- und Herrenkleidung, definieren Farben als M?dchen- oder Jungenfarben, trennen Frauen und M?nner bei Sportwettbewerben. Bei Forschungsdesigns wird das Geschlecht hingegen nicht immer einbezogen. Dabei kann das in einigen F?chern unmittelbaren Einfluss auf unseren Alltag haben, manchmal sogar über Leben und Tod entscheiden. Die Erkenntnis, dass sich Herzinfarkte bei Menschen verschiedener Geschlechter in unterschiedlichen Symptomen ?u?ern, ist mittlerweile bekannt. Aber auch in anderen Bereichen kann der gesch?rfte Blick zu weitreichenden Erkenntnissen führen. Innovative Forschung kommt heute über die Disziplinen hinweg selten ohne die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive aus. Geschlechtersensibel zu forschen bedeutet, m?gliche geschlechtertypische Aspekte in allen Phasen des Forschungsprozesses von Konzeption über Methode und Auswertung bis zur Anwendung sowie bei der Theoriebildung zu berücksichtigen.

Gesellschaftsver?ndernde Erkenntnisse auf den zweiten Blick

Auch Forschungsergebnisse, die seit Jahrzehnten als gesichert gelten, k?nnen durch das geschlechtersensible Untersuchen von Befunden zu neuen Ergebnissen kommen. In einem Wikingergrab wurde beispielsweise einst eine Kriegerin bestattet und nicht, wie irrtümlicherweise zun?chst festgehalten, ein Krieger. Auch neue Untersuchungen zu Funden aus der Steinzeit legen nahe, dass es die steinzeitliche Familie mit der heute als geschlechtstypisch festgehaltenen Arbeitsteilung vom jagenden Mann und der sammelnden Frau nicht gab. Wie s?he unsere Rollenverteilung wohl heute aus, wenn wir über dieses Wissen eher verfügt h?tten? Das gesellschaftsver?ndernde Potential geschlechtersensibler Forschung ist also gro?, ebenso gro? sind aber auch die Daten- und Wissenslücken.

Diese Lücken sollen schrittweise geschlossen werden. Mit dem Projekt GEschlechterpoteNzIALe nutzen – Gesellschaft ver?ndern (kurz: GENIAL forschen+) wird die Universit?t Bamberg dazu einen Beitrag leisten, indem bestehende geschlechtersensible Forschung ausgebaut und gleichzeitig die Sensibilit?t der Forschenden für diese Notwendigkeit gest?rkt wird. In der bereits abgeschlossenen Konzeptphase des Projektes mit dem Titel GENIAL-forschen erfolgte eine Bestandsaufnahme. Für die im Juli 2024 beginnende fünfj?hrige Projektphase ist unter anderem die Gründung eines Zentrums für geschlechtersensible Forschung geplant.

Wo in Bamberg bereits geschlechtersensibel geforscht wird

Ein Blick ins Forschungsinformationssystem (FIS) der Universit?t Bamberg verr?t, dass man auf einer soliden Basis von Forschung und Projekten in der im Lauf der Konzepthase eingerichteten Querschnittskategorie Geschlechtersensible Forschung aufbauen kann.

Die Spannweite der Forschung reicht vom gro?en Bereich der Künstlichen Intelligenz über ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gef?rdertes Projekt zu Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor bis hin zur gendersensiblen Erweiterung herk?mmlicher Gewichtsreduktionsprogramme.

 Einige dieser bereits realisierten Projekte wurden im Rahmen einer Poster-Ausstellung w?hrend der Konzeptphase von GENIAL-forschen pr?sentiert und in einem Wettbewerb pr?miert. Gewonnen hat das Poster von Dr. Daniel Mayerhoffer und Dr. Jan Schulz-Gebhard zur Einsch?tzung des sogenannten Gender Wage Gaps. FINTA* – also female, inter, trans und asexuelle Menschen – haben den Unterschied im Gehalt von Frauen und M?nnern realistischer eingesch?tzt als M?nner. Dieses Wissen hilft dabei zu verstehen, warum Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und M?nnern immer noch bestehen. Denn wenn m?nnliche Vorgesetzte nicht den Eindruck haben, Frauen bei Gehaltserh?hungen zu benachteiligen, dann werden sie ihr Verhalten weder überdenken noch ?ndern. Die Forschungsergebnisse k?nnen insofern zur Bewusstseinssch?rfung und im Idealfall zur Verringerung von geschlechterbedingten Gehaltsunterschieden beitragen.

Das ebenfalls pr?mierte Poster von Magdalena Eriksroed-Burger setzt sich mit der Frage nach Akteurinnen im künstlerischen Feld Prags in der Zeit zwischen 1918 und 1938 auseinander. Sie zeichnet ein neues Bild des Kunstbetriebs zu jener Zeit, in dem Frauen, entgegen der ?ffentlichen Wahrnehmung, eine nicht zu untersch?tzende Rolle spielten. M?nner und Frauen als Vorbilder in unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollen sehen zu k?nnen, ist für die Berufswahl von jungen Menschen von gro?er Bedeutung. Zu wissen, dass es neben berühmten Künstlern auch berühmte Künstlerinnen gab, schlie?t also gewisserma?en eine Vorbild-Lücke.

Was erreicht werden soll

Die Universit?t Bamberg hat geschlechtersensible Forschung in ihre aktuelle Forschungsstrategie integriert. Das Projekt GENIAL-forschen+ wird universit?re Strukturen aufbauen, die der Umsetzung dieser Strategie dienen sowie gleichzeitig geschlechtersensible Forschung st?rken.

Beispielsweise werden zielgruppenspezifische Vernetzungs- und Fortbildungsangebote weiterentwickelt, die bereits wie die Nacht der Geschlechtersensiblen Forschung das Bewusstsein Studierender sch?rfen oder das n?tige Knowhow für die Beantragung von gro?en Verbundprojekten vermitteln. Geschlechtersensibilit?t wird aufgrund der gr??eren Aussagekraft von Forschungsergebnissen mittlerweile von drittmittelgebenden Institutionen weltweit erwartet. Daher ist ein weiterer Schwerpunkt der Projektphase die Etablierung von Beratungsprozessen für Forschende im universit?ren Dezernat für Forschungsf?rderung und Transfer (Z/FFT). Dazu wird ein Beratungskonzept erstellt, das einen Werkzeugkasten sowie einen Leitfaden für diese Beratungssituationen entwickelt. Ziel ist es, Geschlechtersensibilit?t nicht als Ausnahme, sondern als festen Bestandteil in alle Phasen des Forschungsprozesses zu integrieren. Die erarbeiteten Leitf?den und Werkzeuge werden im Anschluss anderen Universit?ten zur Verfügung gestellt. Weitergegeben werden also nicht ausschlie?lich Forschungsergebnisse und Methoden, sondern in diesem besonderen Fall auch Strukturaufbau- und -umbauma?nahmen. Im Ergebnis soll sich die Universit?tslandschaft nachhaltig wandeln und zu geschlechtersensibler Forschung bekennen. ?Exzellente Forschung sollte sich am Nutzen für alle Menschen orientieren“, sagt Prof. Dr. Astrid Schütz, Leiterin des Projekts GENIAL-forschen+ und Inhaberin des Lehrstuhls für Pers?nlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik.

Das Zentrum für geschlechtersensible Forschung, das im Rahmen des Projekts eingerichtet wird, wird das über die Projektlaufzeit hinaus sichtbare Ergebnis für die institutionelle Verankerung der Thematik in der Universit?t sein. Es dient dem Austausch zwischen den beteiligten universit?ren Abteilungen und Einrichtungen, der Koordination der Forschenden sowie der Qualit?tssicherung. Hier werden alle Aktivit?ten des Projektes organisiert, Forschende vernetzt und der Transfer zu anderen Hochschulen sowie in die Gesellschaft und zu weiteren Transferpartnern initiiert. 29 regionale und überregionale Unternehmen, Verb?nde und Hochschulen zeigen bereits im Vorfeld des Projektes gro?es Interesse am Transfer der Erkenntnisse. Dieses Projekt der Universit?t Bamberg m?chte damit nachhaltig zu einer gleichberechtigten Gesellschaft beitragen.