Positionspapier: Damit der Religionsunterricht in Deutschland zukunftsf?hig bleibt
Sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Prof. Dr. Konstantin Lindner; Prof. Dr. Elisabeth Naurath; Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf; Dr. Hans Schmid; Dr. Peter Schreiner; Prof. Dr. Henrik Simojoki; Dr. Winfried Verburg) haben ein Positionspapier erarbeitet, das am 19. Dezember 2016 unter dem Titel "Konfessionell, kooperativ, kontextuell - Weichenstellungen für einen zukunftsf?higen Religionsunterricht" ver?ffentlicht und von über 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz Deutschland unterzeichnet wurde. Das Positionspapier geht zurück auf Ideen, die im Rahmen des "Expert/innenkolloquiums 2016" zur Zukunft des Religionsunterrichts ausgetauscht und entwickelt worden sind. Die Ver?ffentlichung erfolgte in zeitlicher N?he zu der am 16.12.2016 von der Deutschen Bischofskonferenz publizierten Erkl?rung "Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht".
Hintergrund
Vielf?ltige Pluralisierungsprozesse stellen die Gesellschaft vor die Herausforderung, wie Zusammenleben gelingen kann: Sie braucht Menschen, die im Bereich der Religion begründet urteilen k?nnen, sowie religi?s sprachf?hig und dialogbereit sind. Der Religionsunterricht in der Schule leistet dazu einen wichtigen Beitrag. 163 Religionsp?dagoginnen und Religionsp?dagogen aus Forschung und Lehre treten mit einem Positionspapier an die ?ffentlichkeit, um den Schülerinnen und Schülern trotz der Ver?nderungen religi?ser Zugeh?rigkeit die Chance auf eine zeit- und kontextgem??e religi?se Bildung zu erm?glichen. Entlang der programmatischen Leitbegriffe ?konfessionell, kooperativ, kontextuell“ legen sie prinzipielle Weichenstellungen eines zukunftsf?higen Religionsunterrichts vor und leiten daraus Selbstverpflichtungen für die wissenschaftliche Bildung der künftigen Religionslehrerinnen und -lehrer an den Hochschulen und Universit?ten ab.
Wortlaut des Positionspapiers
- das Positionspapier im pdf-Format inkl. Liste der Unterzeichnenden(57.5 KB, 8 Seiten)(57.5 KB)
- das Positionspapier in italienischer ?bersetzung
Konfessionell, kooperativ, kontextuell – Weichenstellungen für einen zukunftsf?higen Religionsunterricht
Der Religionsunterricht in Deutschland steht angesichts gesellschaftlicher, politischer und religi?ser Transformationsprozesse vor neuen Herausforderungen. Die Zugeh?rigkeiten zu Religionen und Konfessionen ver?ndern sich: Evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler werden weniger, der Anteil konfessionsloser und muslimischer Schülerinnen und Schüler steigt. Zugleich ist Religion wieder ein ?ffentliches Thema geworden. Gesamtgesellschaftlich stellt sich die entscheidende Frage, wie das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religi?sen und weltanschaulichen Hintergründen in guter Weise gelingen kann. Kinder und Jugendliche sehen sich dadurch herausgefordert, blicken aber optimistisch auf die Zukunft und zeichnen sich durch eine pragmatische Haltung auch im Bereich des Religi?sen aus.
Religi?se Bildung spielt in diesen Zusammenh?ngen eine wichtige Rolle. Insbesondere den Schulen kommt mit dem interkulturellen und interreligi?sen Lernen eine besondere Verantwortung zu. Der Religionsunterricht h?lt die Frage nach Gott wach, bietet Identifikationsm?glichkeiten in der jeweils eigenen Tradition, ist dialogisch ausgerichtet und tr?gt durch die vernunftbasierte Auseinandersetzung mit Religion dazu bei, Schülerinnen und Schüler zu einem reflektierten Verhalten zu Religion zu bef?higen und fundamentalistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Im Religionsunterricht wird so gezeigt, wie Menschen heute in aufgekl?rter Weise mit Religion und Glauben leben k?nnen. Er f?rdert die F?higkeit, sich mit Anderen und Andersgl?ubigen angesichts von religi?ser, kultureller und sozialer Vielfalt über religi?se Fragen auszutauschen und zu verst?ndigen. Inmitten der Fragen nach dem, was z?hlt, nach Sinn und Glück werden Schülerinnen und Schüler in ihren Suchbewegungen ernst genommen, unterstützt und begleitet. Sie erhalten in einer religi?s zunehmend pluralen Welt Orientierungshilfen und werden bef?higt, im Austausch mit anderen zu einer eigenen Positionierung zu finden.
Um diesen Zielsetzungen auch in Zukunft gerecht zu werden und den Religionsunterricht als Lernort zu st?rken, ist es notwendig, diesen sowohl in konzeptioneller als auch in organisatorischer Hinsicht weiterzuentwickeln. Dazu sind alle am Religionsunterricht beteiligten Akteure aufgefordert: Die Kirchenleitungen genauso wie die staatlichen und schulischen Beh?rden, die wissenschaftliche Religionsp?dagogik genauso wie die Religionslehrkr?fte vor Ort, die Schülerinnen und Schüler genauso wie die Eltern.
Weil ein zukunftsf?higer Religionsunterricht auch davon abh?ngt, welche Konzepte und empirischen Vergewisserungen zur Verfügung stehen, sehen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verpflichtet, diesem Anliegen in den eigenen Forschungen noch mehr Gewicht zu geben. Als Weichenstellungen eines zukunftsf?higen Religionsunterrichts zeichnen sich folgende Profilmerkmale ab, die gerade in ihrer Zusammengeh?rigkeit zugleich Entwicklungsperspektiven markieren:
Der Religionsunterricht der Zukunft ist konfessionell.
In einem bekenntnisbezogenen, konfessionellen Religionsunterricht kommen religi?se Fragen und Themen so ins Spiel, wie es den Religionen in ihrer Eigenart als Lebensüberzeugungen entspricht. In der Begegnung und Auseinandersetzung mit den Lehrerinnen und Lehrern, die ihre religi?se Position in das Unterrichtsgeschehen einbringen, k?nnen die Schülerinnen und Schüler verstehen lernen, wie Christsein angesichts heutiger Lebensbedingungen m?glich ist. Sie k?nnen den christlichen Glauben als m?gliche Sinndeutung für ihre eigene religi?se Positionierung befragen und Unterstützung in der Bearbeitung ihrer Lebensfragen erfahren. Im bekenntnisbezogenen Religionsunterricht spiegelt sich wider, dass das Christentum in Konfessionen ausgepr?gt ist und selbst individuelle Bezüge auf das Christentum – bewusst oder unbewusst – konfessionelle Akzentsetzungen aufgreifen. Dabei gilt es, die Vielfalt des Christlichen als Reichtum wach zu halten, ohne in traditionelle Muster der Konfessionalisierung zu verfallen.
Der Religionsunterricht der Zukunft ist kooperativ.
Aufgrund der ?kumenischen Ausrichtung des Christentums, der Notwendigkeit einer dialogischen Zusammenarbeit der Religionen und des religi?sen Wandels ist die an vielen Schulen bereits mit Gewinn praktizierte konfessionelle Zusammenarbeit im Religionsunterricht weiter auszubauen, zu f?rdern und institutionell zu stützen. In verschiedenen kooperativen Lernformaten gilt es, gemeinsame Antworten angesichts dr?ngender Gegenwartsfragen zu finden. Dies erfordert auch verst?rkte Vernetzungen und kreative Zusammenarbeit mit den sog. Alternativf?chern des Religionsunterrichts sowie mit dem Unterricht anderer Religionen. Ziel ist es, partnerschaftliche und dialogische Lernprozesse zu initiieren und Themen im interreligi?sen Horizont zu erarbeiten.
Der Religionsunterricht der Zukunft ist kontextuell.
Die Situation des Religionsunterrichts ist oft von Ort zu Ort, Region zu Region, Schulform zu Schulform und sogar Schule zu Schule unterschiedlich. Es ist daher erforderlich, bereits existierende regionale Konzepte als kontextbezogene Antworten auf die vielgestaltige Situation wahrzunehmen und anzuerkennen. Genauso wichtig ist es, religionsunterrichtliche Konzepte und Organisationsformen zu entwickeln, die eine Passung an die Gegebenheiten vor Ort erm?glichen. Ein Konzept, das Religionsunterricht prim?r in Abh?ngigkeit vom Zustandekommen genügend gro?er Konfessionsgruppen denkt, erweist sich aus Bildungsperspektive und aufgrund der skizzierten ?kumenischen Erfahrung als nicht ausreichend.
Diese drei Profilmerkmale des Religionsunterrichts erfordern gemeinsame, deutschlandweite Eckpunkte und Standards sowie die Erm?glichung von Gestaltungsspielr?umen, welche einen konfessionellen Religionsunterricht in kooperativer Orientierung und kontextueller Abstimmung gew?hrleisten k?nnen.
Unser Beitrag
Die hier Unterzeichnenden sehen ihren Beitrag darin,
- ? unterschiedliche Modelle eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, der die kontextuellen Gegebenheiten ernst nimmt, weiter zu entwickeln und bildungspolitisch stark zu machen,
- religionsdidaktische Eckpunkte und Standards in Bezug auf die Konzeption und Organisation eines konfessionellen, kooperativen und kontextuellen Religionsunterrichts zu erforschen und sowohl in der Lehrer- und Lehrerinnenbildung als auch in der schulischen Praxis zu etablieren,
- in der ersten Phase der Lehrer- und Lehrerinnenbildung an den Hochschulen und Universit?ten – wo m?glich – verst?rkt mit den Fachvertreterinnen und -vertretern der jeweils anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften sowie der Alternativf?cher (Ethik-/Philosophieunterricht usw.) zu kooperieren,
- Wege der Zusammenarbeit mit der jüdischen, der islamischen Religionsp?dagogik und den sich etablierenden Religionsp?dagogiken anderer Religionen sowie der P?dagogik/Fachdidaktik der jeweiligen Alternativf?cher (Ethik-/Philosophieunterricht usw.) anzubahnen und auszubauen,
- die wachsende Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die keiner Konfession oder Religion angeh?ren, bei der Entwicklung eines konfessionellen, kooperativen und kontextuellen Religionsunterrichts konstruktiv zu berücksichtigen.
Liste der Unterzeichnenden
HIER gehts zum downloadbaren pdf-Dokument inkl. Liste der Unterzeichnenden(57.5 KB, 8 Seiten)(57.5 KB)
Ansprechpartner/innen für Rückfragen
- Prof. Dr. Konstantin Lindner, Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg
- Prof. Dr. Elisabeth Naurath, Universit?t Augsburg
- Prof. Dr. Mirjam Schambeck sf, Albert-Ludwigs-Universit?t Freiburg
- Dr. Hans Schmid, Leiter i. R. der religionsp?dagogischen Aus- und Fortbildung im Priesterseminar am Erzbisch?flichen Ordinariat Bamberg
- Dr. Peter Schreiner, Direktor des Comenius-Instituts Münster
- Prof. Dr. Henrik Simojoki, Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg
- Dr. Winfried Verburg, Leiter der Abteilung Schulen und Hochschulen, Bisch?fliches Generalvikariat des Bistums Osnabrück