Das Projekt

Die auf Stein als Inschriften wiedergegebenen oder auf Papyrus übermittelten edicta (Regelungen mit generellem Anspruch) und epistulae (Briefe) der Kaiser in griechischer und lateinischer Sprache sind ein zentraler Bestandteil der dokumentarischen Quellen für das R?mische Reich. Da sie nicht durch die Einbindung in literarische Werke von deren Autoren ver?ndert wurden, k?nnen sie als authentische Zeugnisse für die Gedankenwelt und die Prinzipien der ma?geblichen Vertreter r?mischer Herrschaft, die von ihnen angewandten Rechtsregeln und die zu beobachtende Praxis der Umsetzung betrachtet werden.

Augenblicklich sind 377 Inschriften und 44 Papyri bekannt, die kaiserliche Edikte und Briefe überliefern. Etwa ein Drittel von ihnen wurde erst in den letzten 50 Jahren, insbesondere im Zuge der arch?ologischen Erforschung der Türkei, gefunden. Zumeist sind die Texte in griechischer Sprache verfasst, lateinisch sind nur vierzig. Dahinter steht kein derart unterschiedliches Ausma? der Kommunikation der Kaiser mit den Gemeinden und übrigen Briefpartnern im Westen und Osten. Vielmehr ist es die Folge bestimmter ?berlieferungsfaktoren.

Texte wie die Kyreneedikte des Augustus, die Schreibens Hadrians dorthin, die in Pergamon gefundenen Regelungen mehrerer Kaiser zu den Privilegien von ?rzten, die Privilegierungen von Antinoopolis zeigen beim ersten Blick, wie aufschlussreich eine Reihe dieser Zeugnisse schon als individuelle Dokumente sind. Vergleichsweise jüngst publizierte Texte wie das Koroneia-Dossier, der Brief Hadrians an Naryka oder der des Septimius Severus an den Lykischen Bund belegen, dass die Reihe solcher Urkunden nicht abrei?t. Gerade auch die neu publizierten Texte zeigen, dass es in dieser Korrespondenz nicht nur um den Austausch von H?flichkeiten, Fragen von Titeln und Privilegien oder die Anerkennung der Herrschaft Roms bzw. eines spezifischen Kaisers ging, wie man oft meinte. Vielmehr wird deutlich, dass die kaiserlichen Antworten sich h?ufig mit recht komplexen Problemen erstaunlich detailliert besch?ftigten – von Fragen der Wasserversorgung und Amelioration über spezifische Probleme der Gemeindelasten bis hin zu diffizilen Auseinandersetzungen mit lokalen Rechtsordnungen.

Ein zentrales Problem für die Forschung war bisher, dass diese Urkunden zu einem erheblichen Teil nur in Form von verstreuten Einzelpublikationen unterschiedlicher Qualit?t in einer Fülle von regionalen und lokalen epigraphischen Corpora, Editionen gr??erer papyrologischer Sammlungen oder gar nur in wissenschaftlichen Zeitschriften vorliegen. Diese Editionen entstanden und entstehen im Kontext dreier Disziplinen – der Epigraphik, der Papyrologie und der Alten Geschichte –, die sich immer mehr auseinanderentwickelt haben und die auch immer weniger in den Dialog mit Arch?ologie und R?mischen Recht eintreten.

Der einzige bisherige Versuch, kaiserliche Urkunden auf Stein und Papyrus systematisch vorzulegen, liegt mehr als 50 Jahre zurück und überzeugte schon beim Erscheinen nach Ansicht der meisten Rezensenten in mehrfacher Hinsicht nicht. Ziel des ursprünglich an der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI begonnenen Unternehmens ?Corpus der Urkunden der r?mischen Herrschaft“ (CURH) ist es, die bedeutendsten dokumentarischen Quellen der Kaiser und Statthalter Roms, deren Edikte und Briefe, in einer neuen textkritischen Edition mit ?bersetzung, ausführlichem historischen und juristischen Kommentar und umfangreichen Indizes vorzulegen und für Fragen der Herrschaftspraxis und -repr?sentation auszuwerten. In Kooperation mit der Abteilung Documenta Antiqua des ?sterreichischen Arch?ologischen Instituts und einem Professor für R?misches Recht und Juristische Papyrologie der Universit?t Warschau soll dank einer dreij?hrigen F?rderung von DFG, FWF und NCN im Rahmen eines Weave-Verfahrens eine mehrb?ndige Edition, Kommentierung und Auswertung der heute bekannten 421 einschl?gigen Urkunden der r?mischen Kaiser bis Diokletian entstehen.