DFG Projekt M?rkte – Netzwerke – R?ume. Wirtschaftsbeziehungen und Migrationsprozesse in der Frühen Neuzeit (1500–1800)


Konzeptionelle Grundlagen

Stand der Forschung


Die systematische Erforschung von M?rkten und die Frage nach der Vergesellschaftung durch M?rkte entwickeln sich zunehmend zu einem zentralen Thema der wirtschaftshistorischen wie der sozialwissenschaftlichen Forschung. M?rkte sind als Organisationsform wirtschaftlicher Interaktion kontinuierlich Gegenstand der wirtschaftshistorischen Forschung gewesen, in methodischer Hinsicht beschr?nkten sich die meisten Studien jedoch auf eine deskriptive Perspektive. Die Arbeiten von Karl Polanyi und Edward Palmer Thompson führten zu Debatten über die Frage, ob vorindustrielle ?konomien eher von sozialen bzw. moralischen als von marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten geleitet waren. Dabei wurde ausgehend von der Dichotomie "traditionaler" und "moderner" Gesellschaften lange die Relevanz marktf?rmiger Wirtschaftsbeziehungen für vorindustrielle Gesellschaften grunds?tzlich in Frage gestellt und allenfalls nach frühen Erscheinungen "moderner" M?rkte gesucht.

In seiner 1979 ver?ffentlichten gro?en Synthese "Civilisation matérielle, économie et capitalisme, XVe-XVIIIe siècle"; betonte Fernand Braudel demgegenüber die grundlegende Bedeutung von M?rkten für die vorindustriellen Gesellschaften und stellte in einer strukturgeschichtlichen Makroperspektive relativ differenzierte ?berlegungen zur Ph?nomenologie von M?rkten in der frühen Neuzeit an. Erst die ebenfalls w?hrend der 1970er Jahren in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufkommenden Ans?tze zur Analyse wirtschaftlichen Handelns in spezifischen sozialen und kulturellen Kontexten führten dann zu verst?rkten Bemühungen, mittelalterliche und frühneuzeitliche M?rkte in einer systematischen Perspektive zu erforschen. Diese Forschungen wurden seit Mitte der 1990er Jahre intensiviert, so dass inzwischen ein breites Spektrum an Studien zu speziellen M?rkten und ein zunehmend differenziertes Instrumentarium zur Analyse vorindustrieller M?rkte vorliegt.

Allerdings richten sich die Untersuchungen meist auf einzelne Aspekte. Zudem fehlen Konzepte, die es erm?glichen, in einer breiter angelegten, systematisch-vergleichenden Perspektive zu untersuchen, wie M?rkte durch soziale Interaktionen und strukturierte Praktiken hervorgebracht wurden. Für einen derartigen Ansatz bietet die neuere Wirtschaftssoziologie konzeptionelle Grundlagen an, die von der Wirtschaftsgeschichte noch wenig rezipiert worden sind. Inzwischen besteht auch seitens der Wirtschaftsoziologie explizites Interesse an der Erforschung historischer M?rkte. Daher m?chte die Projektgruppe an die vorhandenen Forschungsans?tze anknüpfen und diese durch systematisch-vergleichende Untersuchungen verschiedener M?rkte weiterentwickeln.

Netzwerke

Ausgangspunkt s?mtlicher Teilprojekte sind Netzwerke von Wirtschaftsakteuren. Netzwerke werden in diesem Zusammenhang nicht als spezielle Form der sozialen Organisation verstanden, sondern als analytisches Instrumentarium, wie es für die sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse entwickelt worden ist. Auf diese Weise werden die in der historischen ?berlieferung breit gestreuten Angaben über Marktteilnehmer systematisch erschlossen und strukturiert. Dabei wird die Einbindung der Akteure in Marktbeziehungen rekonstruiert. Bedingt durch die meist gro?e Zahl von Marktteilnehmern und die begrenzten historischen Daten k?nnen M?rkte nur in exemplarischen Ausschnitten betrachtet werden. Daher verfolgen die Teilprojekte eine mikrohistorische Perspektive, in der exemplarische Marktteilnehmer beim Agieren auf M?rkten und in deren Umfeld sowie in ihren sozialen Beziehungen untersucht werden.

W?hrend über Netzwerke von Kaufleuten bereits zahlreiche Studien vorliegen, richtet die Projektgruppe den Fokus st?rker auf die Organisationsformen von Wirtschaftsbeziehungen auf M?rkten. Wegen der Komplexit?t und Vielfalt der Organisationsformen von M?rkten ist es nicht sinnvoll, von einem einheitlichen Netzwerk auszugehen, sondern von verflochtenen Teilnetzwerken, aus denen verschiedene Organisationen hervorgehen, die einen spezifischen Markt als soziales Feld strukturieren. Dabei ist eine Gliederung der Netzwerke in Marktorganisatoren und Dienstleister sowie in Marktteilnehmer sinnvoll, wobei die Marktteilnehmer ihrerseits einzeln oder als Teil einer Organisation wie einer Handelsgesellschaft oder einer Gruppe von verwandten Personen auftreten konnten.

M?rkte


Ausgangspunkt der methodischen ?berlegungen sind Bewegungen von Personen und Wirtschaftsgütern sowie die dadurch entstehenden Verflechtungen der beteiligten Personen, die als soziale Netzwerke betrachtet werden. In diesem Zusammenhang werden M?rkte als Figurationen sozialer Interaktion verstanden, auf denen Akteure um die Gelegenheit eines Tausches konkurrieren. M?rkte k?nnen somit als soziale Organisationen für den Tausch von Rechten gelten, die es erm?glichen, Personen, Unternehmen und deren Leistungen sowie Produkte in ihren Qualit?ten zu bewerten und sich auf einen Preis zu verst?ndigen. Auf Grundlage dieser Wertzuschreibungen k?nnen Transaktionen zwischen den Marktteilnehmern vollzogen werden. Die sichere Gew?hrleistung kooperativer Tauschbeziehungen unter konkurrierenden Akteuren generiert komplexe soziale Organisationsformen, die im Rahmen der Projektgruppe vergleichend untersucht werden.

Der von Netzwerken ausgehende Forschungsansatz erm?glicht die Untersuchung der Praktiken von marktf?rmigen Beziehungen, da nicht von M?rkten als abstraktem Ort des Tauschs ausgegangen wird, sondern davon, dass M?rkte durch meist relativ kleine Netzwerke von Personen hervorgebracht werden, die um die M?glichkeit eines Tauschs spezieller Güter konkurrieren. Obwohl die Marktteilnehmer in einem Konkurrenzverh?ltnis stehen, müssen sie bei der Durchführung von Transaktionen auch kooperieren, um die Unsicherheiten, die mit den Transaktionen verbunden sind, soweit kalkulierbar zu gestalten, dass diese durchgeführt werden k?nnen. Anl?sslich des Tauschs findet daher eine Bewertung der Marktteilnehmer und der angebotenen Gütern und Leistungen statt, um die Qualit?ten und den jeweiligen Wert der Tauschobjekte festzulegen.

Diese drei grundlegenden Koordinationsprobleme beim Agieren auf M?rkten – Konkurrenz, Kooperation und Bewertung – bieten eine Grundlage für vergleichende Untersuchungen. Die Koordinationsprobleme führen dazu, dass M?rkte politisch gestaltet und gesteuert werden, um sie zu stabilisieren. Die Notwendigkeit der politischen Steuerung verweist auf zentrale Aspekte der gesellschaftlichen Einbettung von M?rkten: M?rkte standen in enger Verbindung mit den politischen Obrigkeiten, die sich nicht nur für den geordneten Ablauf verantwortlich sahen, sondern auch die Ansiedlung und Entwicklung von M?rkten politisch gestalteten und damit die institutionellen Grundlagen von M?rkten festlegen konnten. Die meisten frühneuzeitlichen Warenm?rkte waren mit obrigkeitlichen Privilegien verbunden. Diese betrafen die Festlegung des Marktplatzes und dessen Grenzen sowie den zeitlichen Rahmen innerhalb dessen Transfers zugelassen waren. Darüber hinaus konnten Regeln zur Zulassung von Marktteilnehmern und der legitimen Formen des Transfers festgelegt werden, wobei die Bedingungen für verschiedene Gruppen von Marktteilnehmern durchaus unterschiedlich ausfallen konnten. Zudem sollte die Sicherheit der Marktteilnehmer gew?hrleistet werden. Zur friedlichen und schnellen Konfliktregulierung wurden zum Teil eigene Marktgerichte etabliert. Die Abgrenzung von Marktbereichen wurde zwar von obrigkeitlicher Seite h?ufig vorgeschrieben, die tats?chlichen Orte und Grenzen von M?rkten wurden jedoch durch soziale Dynamiken der Marktteilnehmer gepr?gt und konnten auch jenseits obrigkeitlicher Regulierungen liegen. Die Privilegierung von M?rkten seitens der Obrigkeiten war h?ufig mit der Erhebung von fiskalischen Einkünften durch Steuern, Akzisen, Z?lle und Gebühren verbunden, die ihrerseits Steuerungseffekte auf die Marktteilnehmer haben konnten.

R?ume


Netzwerke von Personen, transferierten Gütern und Kommunikation konstituieren die vielschichtigen r?umlichen Dimensionen von M?rkten. M?rkte k?nnen als konkrete Orte Knoten innerhalb der Netzwerke bilden, sie k?nnen aber auch als ortlose M?rkte nur durch die Kommunikation der Marktteilnehmer entstehen, ohne dass diese sich gleichzeitig an einem Ort begegnen. Damit wird deutlich, dass M?rkte durch die Kommunikation der Marktteilnehmer konstituiert werden und je nach Bedarf sehr unterschiedliche materielle Auspr?gungen annehmen k?nnen. Sehr viele M?rkte waren an feste Orte und Marktpl?tze gebunden, h?ufig mit festgelegten Grenzen, die den Raum definierten und h?ufig auch feste Zeiten, in denen bestimmte Gesch?fte get?tigt werden durften bzw. sollten, denn die Konflikte über Gesch?fte au?erhalb der vorgeschriebenen Pl?tze und Zeitr?ume waren zahlreich. In den meisten St?dten waren Marktpl?tze hervorgehobene zentrale Orte, in Messestandorten konnten sie auch am Rande der Stadt liegen. Marktpl?tze wurden h?ufig durch st?dtebauliche Gestaltung repr?sentativ herausgestellt oder auch in eigenen Geb?udekomplexen untergebracht. Ein weiteres wichtiges bauliches Merkmal von Marktstandorten sind Handelsniederlassungen von gro?en Handelsgesellschaften – Faktoreien – oder der 'Nationes' der Kaufleute wie in Antwerpen oder im Fall des 'Fondaco dei Tedeschi' in Venedig. Im Umfeld von M?rkten entwickelte sich eine eigene bauliche Infrastruktur, die auch Geb?ude für Waagen, Steuerkassen, Handelsgerichte, Einrichtungen zur Qualit?tskontrolle usw. umfasste. Die Lage der Geb?ude zueinander konnte von den Kaufleuten durchaus – auch unter dem Gesichtspunkt von Prestige – als relevant erachtet werden und Verlagerungen von Standorten konnten zu Konflikten führen. M?rkte konnten daher spezifische Topographien an den jeweiligen Marktorten herausbilden. Die Kaufleute ben?tigten au?erdem Unterkünfte, Transportdienstleister, M?glichkeiten Pferde zu versorgen und zum Unterhalt von Fahrzeugen. Neben der baulichen Dimension waren zahlreiche Personen notwendig, die im Kontext eines Marktes eigene Teilnetzwerke bildeten, welche mit denen der Kaufleute verbunden waren, und die diese Dienstleistungen auf M?rkten anboten bzw. die Aufsicht durchführten. Unter dem Gesichtspunkt von Gesch?ftspraktiken sind Makler oder 'Sensale' von besonderem Interesse, da sie in unterschiedlicher Auspr?gung fester Bestandteil der Gesch?ftsabwicklung sein konnten oder deren Vermittlung wie in Venedig vorgeschrieben war. Diese bislang zum Teil wenig beachteten Aspekte der Infrastruktur von M?rkten und deren Verh?ltnis zu den Marktteilnehmern werden in die Untersuchungen des Projekts einbezogen.

Wenn man Marktpl?tze als Knoten bzw. Orte innerhalb eines Netzwerks betrachtet, ist der Einzugsbereich eines Marktes in Bezug auf teilnehmende Akteure und die Herkunft sowie die Zielorte von Waren und Zahlungsmitteln ein weiterer wichtiger r?umlicher Aspekt. ?ber den Einzugsbereich hinaus sind die Verflechtungen von M?rkten untereinander ein zentraler Gegenstand des Projekts. Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass M?rkte auf unterschiedlichen Ebenen miteinander verflochten waren. Auf der lokalen Ebene lassen sich in vielen Orten, auch D?rfern, regelm??ige M?rkte finden, die h?ufig in festen Zyklen stattfanden und Endkunden mit Waren versorgten, aber auch Produkte des l?ndlichen Raumes in den Handel einbrachten. Auf der n?chsth?heren Ebene finden sich Marktorte, die einen Markt für eine Region anboten und neben dem regionalen Warentausch auch diesen Handel mit dem Fernhandel verbanden. Eine weitere Ebene bilden die gro?en Fernhandelsst?dte und Messen. Die regionalen und überregionalen M?rkte waren in ihren Zyklen h?ufig aufeinander abgestimmt, erst im Lauf der frühen Neuzeit entstanden mit den B?rsen jenseits des Lokalhandels permanente M?rkte. Die Gesch?fte auf den M?rkten unterlagen damit saisonalen und zyklischen Rhythmen, die die Gesch?ftsbedingungen pr?gten.

Vergleichende Studien haben gezeigt, dass nicht von allgemeingültigen Mustern der Beteiligung von Kaufleuten an M?rkten auf den verschiedenen Ebenen auszugehen ist. Daher ist eine für das Projekt wichtige Fragestellung, welche Netzwerke zwischen M?rkten sich feststellen lassen und wie sie beschaffen waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gesch?ftsbeziehungen parallel über ganz unterschiedliche Wege laufen konnten und unterschiedliche r?umliche Bezüge für eine Transaktion entstehen konnten. Grundlage von Gesch?ften waren pers?nliche Beziehungen zwischen Kaufleuten. Um eine Transaktion durchführen zu k?nnen, war es notwendig, geeignete 球探足球比分personen zu kennen. Je nach Gesch?ft konnten hierbei schon relativ komplexe Netzwerke, die sich über mehrere Orte erstreckten, entstehen. Der eigentliche Transfer der Handelsware wiederum folgte den praktischen M?glichkeiten die sich zwischen Ausgangs- zum Zielort anboten, wobei diese Verbindungen zwar die notwendigen 球探足球比分personen berühren, aber durch Seetransporte usw. auch eine eigene r?umliche Dimension erhalten konnten. Der Zahlungsverkehr wiederum folgte eigenen Anforderungen und musste nicht parallel zum Warenverkehr laufen. Vielmehr zeigt sich, dass Zahlungen über verschiedene Kreisl?ufe der europ?ischen Geldm?rkte abgewickelt worden sind. Die r?umliche Dimension von M?rken muss also aus den jeweiligen Kontexten abgeleitet werden.

Die Verbindung von M?rkten und Migration ist eine weitere zentrale Fragestellung des Projekts, denn fast s?mtliche Formen von M?rkten sind mit Migrationsbewegungen verbunden. Im Bereich des Handels finden sich vielf?ltige Migration, und der Wanderhandel basiert auf der Mobilit?t der beteiligten H?ndler. Hierbei sind zwei Ebenen der Mobilit?t zu unterscheiden, diejenige, die im Zusammenhang mit der unmittelbaren Gesch?ftst?tigkeit entstand, und die Migration von Wanderh?ndlern aus ihrem Herkunftsort in die Region ihrer Gesch?ftst?tigkeit. Kaufleute in der frühen Neuzeit waren h?ufig, wenn auch nicht immer, zur Wahrnehmung ihrer Gesch?fte auf Reisen. Unter dem Gesichtspunkt von Migration sind l?ngerfristige Aufenthalte an Orten jenseits des Herkunftsorts oder dauerhafte Abwanderungen relevant. Kaufleute wurden zur Ausbildung zum Teil l?ngerfristig ins Ausland geschickt, um die dortigen Handelspraktiken zu erlernen. Dadurch fand auch ein Wissenstransfer durch Migration statt. Insbesondere an den gro?en Marktstandorten bildeten sich nach Herkunft oder nach 'nationes' differenzierte Ansiedlungen von Kaufleuten, die sich im Spannungsfeld von Herkunftskultur und der Kultur des ausw?rtigen Standorts bewegten und deshalb auch als Kaufmannsdiasporen verstanden werden. Insbesondere religi?se Unterschiede und Intoleranz konnten wesentlichen Einfluss auf die Ansiedlung von Kaufleuten und damit auch auf die Entwicklung von M?rkten nehmen. Die Ansiedlungen von Kaufleuten genossen zum Teil ?konomische Privilegien, sie unterlagen jedoch h?ufig zugleich auch der besonderen Kontrolle der lokalen Herrschaftstr?ger. Da sich oft mehrere Gruppen von Kaufleuten niederlie?en, ist unter dem Gesichtspunkt von M?rkten interessant, wie sich die Gruppen untereinander verhielten, ob sie in Konkurrenz standen oder es zu Kooperationen kam.