Raum- und Sozialtheorie sowie Semantiken des L?ndlichen
Dieser Schwerpunkt markiert das theoretische Interesse des Lehrstuhls; er spiegelt zugleich die Grundlage für die Arbeit in den vorangehenden zwei Schwerpunkten wider. In ihm werden die M?glichkeiten der Verbindung von unterschiedlichen Raum- und Sozialtheorien und geographischen Fragestellungen reflektiert, insbesondere mit Blick auf den Stellenwert des L?ndlichen heute, der sogenannten Neuen L?ndlichkeit.
Raum spielt seit rund zwanzig Jahren eine wichtige Rolle in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung und empirischen Forschung (sogenannter spatial turn). Dabei gibt es eine Vielzahl an M?glichkeiten, Raum als Theoriebaustein oder gar als empirisches Forschungsobjekt zu verwenden. Unsere Forschung verstehen wir auch als ein langfristig angelegtes Projekt, die sozial- und kulturwissenschaftliche Diskussion über Raum zu verfolgen, kritisch zu reflektieren und mit eigenen Beitr?gen anzureichern.
Viele unserer Arbeiten sind durch die Auseinandersetzung mit Potenzialen der Luhmannschen Systemtheorie gekennzeichnet. Wir nutzen systemtheoretische Erkenntnisse über die Perspektivenvielfalt in der heutigen Gesellschaft bzw. über das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Akteurslogiken, um raumbezogene Konflikte besser verstehen und Moderationsprozesse initiieren zu k?nnen (siehe R?umliche Planung, raumbezogene Konflikte und soziale Bewegungen). Dabei interessiert uns vor allem die Offenheit (Kontingenz), das oft zuf?llige Entstehen (Emergenz) und die Prozesshaftigkeit sowie Ver?nderbarkeit gesellschaftlicher Ph?nomene.
Als eine wichtige Forschungskomponente sind Arbeiten zu raumbezogenen Semantiken zu nennen (vgl. Redepenning 2006, Redepenning 2022). Sie bearbeiten die Funktionen von raumbezogenen Beschreibungen in unterschiedlichen sozialen Systemen der Gesellschaften. Allgemein zielen raumbezogene Semantiken darauf ab, Einheit, ?bersichtlichkeit und Harmonie durch den Einsatz von "Raum" vor dem Hintergrund wahrgenommener Komplexit?t und Unsicherheit aktueller gesellschaftlicher Verh?ltnisse abzustimmen. Deutlich wird dies beispielsweise an der aktuellen Renaissance von L?ndlichkeit und einem l?ndlichen Idyll in Verbindung zum vielfach attestierten gestiegenen Bedürfnis nach Entschleunigung in zahlreichen popul?r-verkitschten Zeitschriften – der sogenannten Neuen L?ndlichkeit. Aber auch auf alltagspraktischer Ebene wirken Raumsemantiken, etwa bei neu hinzugezogenen Personen: Welche Erwartungen an l?ndliche R?ume haben sie und inwieweit entsprechen oder widersprechen sie der Realit?t des Lebens in l?ndlichen R?umen? In einem Forschungsprojekt (KulturLandBilder), das wir gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für L?nderkunde, Leipzig, bearbeiten wird die Wirksamkeit von Raumbildern des L?ndlichen für das Selbstverst?ndnis und die allt?gliche Arbeit von Akteuren aus der Kultur- und Kreativwirtschaft untersucht.
Eine zweite wichtige Komponente unserer Arbeiten zur gesellschaftlichen Bedeutung von R?umlichkeit (siehe auch: R?umliche Planung, raumbezogene Konflikte und soziale Bewegungen) umfasst die Analyse von Grenzziehungen, die wir zun?chst als Prozesse sozialer Aushandlung begreifen, die zur Ordnung des Sozialen genutzt werden. Entgegen der Rhetorik des Verschwindens von Grenzen wird die Praxis aktueller Grenzziehungen in modernen Gesellschaften in den Fokus gerückt, beispielsweise bei der Diskussion der Frage, wer an welchem Ort sein darf oder leben soll oder welche Nutzungen wo in der Innenstadt vorherrschen sollen. Damit wird der Fokus immer auch auf raumbezogene Grenzziehungen gelenkt, die eine besondere Form sozialer Grenzen darstellen (vgl. Redepenning/Scholl 2021).
Ausgew?hlte Publikationen zum Forschungsfeld
Redepenning, M. (2024): Raumbilder und das gute Leben auf dem Land. In: L?ndliche R?ume 01/2024: 34-37.
Redepenning, M./Scholl, S. (2024): Sémantiques liées à l'espace (Raumsemantiken). In: Calbérac, Y. et al (2024): Penser les spatialités. (zum Druck angenommen.)
Redepenning, M. (2022): Zur Uneinheitlichkeit des R?umlichen. L?ndlichkeit, Region und raumbezogene Identit?t als Ergebnisse unterschiedlicher Raumsemantisierungen. In: Hessische Bl?tter für Volksbildung. Zeitschrift für Erwachsenenbildung in Deutschland 72 (4): 9-22.
Redepenning, M. (2022): Stadt und Land zwischen Trennung und Hybridisierung. In: Jahrbuch StadtRegion 2021/2022: Stadt-Land-Relationen. Disziplin?re Spurensuchen (hrsgg. von Schmidt-Lauber, B. et al). Springer: Wiesbaden: 3-22.
Redepenning, M. (2022): L?ndliche R?ume beobachtet: Wie Wissenschaft und Planung L?ndlichkeit erzeugen. In: Belina, B. et al. (Hrsg.): Ungleiche l?ndliche Entwicklung: Widersprüche, Konzepte und Perspektiven. Münster: Westf?lisches Dampfboot. (Kritische Landforschung, Bd. 2): 67-82.
Redepenning, M. (2021): Das gute Leben auf dem Land – oder in der Stadt? Raumsemantiken im Kontext von Urbanit?t, Ruralit?t und Rurbanit?t. In: Nell, W./Weiland, M. (Hrsg.): Gutes Leben auf dem Land. Bielefeld: transcript: 575-592.
Redepenning, M. (2019): Grenzziehungen und Grenzen: ein sozialgeographischer Blick. In: Kuhn, B./Winter, U. (Hrsg.): Grenzen. Ann?herungen an einen transdisziplin?ren Gegenstand. Würzburg: K?nigshausen & Neumann: 141-166.
Hefner, C./Redepenning, M./Dudek, S. (2018): R?umliche Sozialstruktur und raumbezogene Semantiken – Aushandlungen von ?Peripherie“ und ?Peripherisierung" am Beispiel dreier Orte in Deutschland. In: Geographische Zeitschrift 106 (2): 97-120. (DOI: 10.25162/gz-2018-0009 )
Redepenning, M. (2018): Aspekte einer Sozialgeographie der Grenzziehungen. Grenzziehungen als soziale Praxis mit Raumbezug. In: Heintel, M./Musil, R./Weixlbaumer, N. (Hrsg.) (2017): Grenzen. Theoretische, konzeptionelle und praxisbezogene Fragestellungen zu Grenzen und deren ?berschreitungen. Wiesbaden: Springer VS: 19-42.
Redepenning, M. (2015): Grenzen, Grenzziehungen und das L?ndliche. Ein Versuch. In: Goeke, P./Lippuner, J./Wirths, J. (Hg.): Konstruktion und Kontrolle. Zur Raumordnung sozialer Systeme. Wiesbaden: VS Springer: 75-93.
Redepenning, M. (2016): Raum. Einige Bemerkungen zur Komplexit?t von ?Raum“ aus Sicht der Sozialgeographie. In: Ambos, C./Eich, P./Schmidt-Hofner, S. (Hg.): Raum‐Ordnungen: Raumkonzepte und soziopolitische Ordnungen im Altertum. Heidelberg.
Bauriedl, S./D?rfler, T./Redepenning, M./Strüver, A. (2014): Podiumsdiskussion: Homo Geographicus Poststrukturalis: Was verstehen wir unter geographischer Empirie. In: entgrenzt. studentische Zeitschrift für Geographisches 8/2014: 5-27.
Scholl, S./Lahr-Kurten, M./Redepenning, M. (2014): Considering the Role of Presence and Absence in Space Constructions. Ethnography as Methodology in Human Geography. In: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 39 (2): 51-67.
Redepenning, M. (2014): Wider die Totalit?t: Gerhard Hard, wissenschaftliche Selektivit?t und die unklare Rolle Luhmanns. Die 球探足球比分 wiedergelesen (Gerhard Hard 1973: Die 球探足球比分. Eine wissenschaftstheoretische Einführung. Berlin). In: Geographische Revue 1/2014: 90-98.
Redepenning, M. (2011): Reading the urban through the rural: Comments on the significance of space-related distinctions and semantics. In: Hassenpflug, D./Giersig, N./Stratmann, B. (Hg.): Reading the City: Developing Urban Hermeneutics/Stadt lesen: Beitr?ge zu einer urbanen Hermeneutik. Weimar: 85-101.
Redepenning, M. (2009): Inszenierung im/des ?L?ndlichen’. Feste, raumbezogene Semantiken, lokale Kultur und ein Elefant in Niederro?la. In: Berichte zur deutschen Landeskunde 83 (4): 367-388
Redepenning, M. (2008): Was hat der Fu?ball in der 球探足球比分 zu suchen? In: Gerhard, U./Seckelmann, A. (Hg.): Innovative Hochschullehre in der 球探足球比分. Handlungsempfehlungen aus der Praxis. Bonn. (=VGDH Schriften): 135-146.