Im August dieses Jahres ist im Alter von 90 Jahren Prof. emer. Dr. Horst Weigelt verstorben. Er hatte von 1975-2002 den Lehrstuhl für Historische und Systematische Theologie an der Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg inne und war zu dieser Zeit zugleich Lehrbeauftragter für Bayerische Kirchengeschichte an der Friedrich-Alexander-Universit?t Erlangen-Nürnberg.
Von seinen Qualifikationsschriften an zeigt sich Weigelts Faszination für unterschiedliche Fr?mmigkeitsbewegungen innerhalb des deutschen Protestantismus – etwa des Spiritualismus, behandelt am Beispiel von Caspar Schwenckfeldt und dem Schwenckfeldertum in fünf Monographien in deutscher und englischer Sprache, des Pietismus oder der Erweckungsbewegung. Das Forschungsinformationssystem der Universit?t Bamberg dokumentiert mit fast 200 Einzelstudien die Breite der kirchen- und theologiegeschichtlichen Forschung Horst Weigelts. Eine Auswahl seiner Aufs?tze wurde 1999 von einigen seiner Schüler anl?sslich seines 65. Geburtstag herausgegeben (Von Schwenckfeld bis L?he. Aspekte aus der Geschichte evangelischer Theologie und Fr?mmigkeit in Bayern, Neustadt an der Aisch).
Weigelt war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, unter anderem der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus und des Vereins für bayerische Kirchengeschichte. Zudem geh?rte er den Herausgeberkreisen der Zeitschrift für Bayerische Kirchengeschichte, des Quellenbuchs zur Geschichte der Evangelischen Kirche in Schlesien, des Handbuchs der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern und der historisch-kritischen Edition der Werke Johann Kaspar Lavaters an.
Nur exemplarisch k?nnen im Rahmen dieses Nachrufs einige Facetten von Horst Weigelts reichhaltigem Schaffen n?her beleuchtet werden. Sie geben Aufschluss über seine Arbeitsweise und über die sorgf?ltige, geradezu liebevolle Hingabe an seinen Untersuchungsgegenstand und dokumentieren zugleich, wie in seinem Werk historische Quellenforschung und systematische Selbstreflexion evangelischer Theologie ineinandergreifen.
Der zu seiner Zeit noch dürftigen Forschungslage zum Verh?ltnis des sogenannten Linken Flügels der Reformation zur lutherischen Reformation begegnete Weigelt 1971 mit einer Darstellung der Theologie Sebastian Francks speziell unter diesem Blickwinkel. In verdienstvoller Weise – wiederum aufgrund der damals noch erschwerten Zug?nglichkeit der Quellen – l?sst er diesen immer wieder ausführlich zu Wort kommen. Gleichwohl ist die Darstellung ?u?erst knapp und gut lesbar. Klare Systematisierung bei gleichzeitiger detailreicher Schilderung machen die Qualit?t dieses Büchleins aus. Die Selbstlosigkeit, mit der sich Weigelt in den Dienst seines Gegenstands stellt, ist au?erordentlich sch?tzenswert.
Eingehend hat sich Weigelt mit dem Goethe-Zeitgenossen Johann Kaspar Lavater besch?ftigt und nicht nur seine Reisetagebücher in zwei B?nden ediert sowie eine Bibliographie seiner Werke erstellt, sondern auch monographisch seine Beziehungen zu Fr?mmigkeitsbewegungen seiner Zeit, u.a. dem Sp?tpietismus, der Herrnhuter Bürdergemeine oder Katholischen und Evangelischen Erweckungsbewegungen untersucht (Lavater und die Stillen im Lande. Distanz und N?he, G?ttingen 1988). Zudem ist Frucht dieser Besch?ftigung eine kleine allgemeinverst?ndliche Abhandlung: J.K. Lavater. Leben, Werk und Wirkung, G?ttingen 1991. Auch hier zeigt sich in vorbildlicher Weise, wie der Historiker als Autor hinter seinen Gegenstand zurücktritt. Besonderheiten, aber auch Absonderlichkeiten dieses in seiner Zeit weit vernetzten Denkers werden nachgezeichnet, insbesondere unter dem systematisierenden Hauptgedanken von dessen Streben nach unmittelbarer Erfahrbarkeit des G?ttlichen in der Immanenz. Abwege und Zerwürfnisse werden dabei nicht verschwiegen. Ausführlich geht Weigelt auch auf die drucktechnisch und künstlerisch bedeutsamen Physiognomischen Fragmente (1770-1778) ein. Brennglasartig werden so anhand des Wirkens und der Nachwirkungen dieses Denkers geistesgeschichtliche Verbindungen des sp?ten 18. Jahrhunderts deutlich.
Unter den jüngeren Ver?ffentlichungen der Bamberger Zeit ist insbesondere die Darstellung zur Geschichte des Pietismus in Bayern (G?ttingen, 2001) zu nennen. Auf gründliche Weise erschlie?t Weigelt hier schwer zug?ngliche, vielfach handschriftliche Quellen und fügt sie in eine geschlossene, gut lesbare Darstellung dieser in sich vielgestaltigen, komplexen religi?sen Bewegung im Gebiet des heutigen Bayern ein. Wer das Buch zur Hand nimmt, erkennt die besondere Begabung des Autors, kleine, bisweilen belustigende Begebenheiten in die gro?en Entwicklungslinien eines christentumsgeschichtlichen Ph?nomens einzuzeichnen, dessen Wirkung bis heute anh?lt. Zu einzelnen Orten und Akteuren ist hier reiches, nie ermüdend geschildertes Material zu finden.
Weigelts letzte Monographie er?ffnet einen weiten eschatologischen Horizont: Universale Heilshoffnungen im Christentum. Apokatastasisideen in Theologie und Kirche, Literatur und Musik (G?ttingen, 2021). Auch hier zeigt sich seine Aufgeschlossenheit für heterodoxe christliche Str?mungen, wurde doch die Lehre von der Wiedererbringung aller seit dem vierten Jahrhundert von den Gro?kirchen immer wieder verurteilt und fand sich in kleineren, bisweilen radikalen Str?mungen wieder. In der bew?hrten Kombination von liebevollem Blick fürs Detail und gro?en geistesgeschichtlichen Entwicklungslinien zeichnet der Autor unterschiedliche Facetten des Allvers?hnungsdenkens seit der christlichen Antike an ausgew?hlten Beispielen nach. Der Blick weitet sich über den deutschen Sprachraum hinaus und bezieht auch den amerikanischen Unitarian Universalism in seinen Verzweigungen mit ein. Das Fazit nach dem abschlie?enden Durchgang durch ausgew?hlte theologische, literarische und musikalische Zeugnisse des 20. Jahrhunderts ist vorsichtig: Nachdem die Christenheit anderer Jahrhunderte sehr viel affirmativer glaubte Bilder des Heilsuniversalismus ausmalen zu dürfen, wird hier ausschlie?lich der Ton der Hoffnung angeschlagen. Mit dieser Hoffnung klingt das letzte Werk Horst Weigelts aus.
In den langen Jahren seiner Bamberger T?tigkeit bis zur Emeritierung hat Horst Weigelt die Entwicklung der Universit?t und der damaligen Fakult?t für P?dagogik, Philosophie und 球探足球比分 mitgepr?gt. Diejenigen, die ihn kannten, schildern ihn als zugewandten und zugleich ruhigen, zurückhaltenden Menschen, der stets mit Rücksicht auf die Belange anderer agierte sowie als einen – wie er selbst sagte – streng ?sachorientierten“ Gelehrten alter Schule, der z.B. bis zu seiner Emeritierung für seine Fakult?t ohne Unterbrechung im Bibliotheksausschuss sa?.
Mit gro?em Ernst und viel Flei? vertrat er sein Fach ?Kirchengeschichte“ in Forschung und Lehre, wobei seine Vorlesungen und Seminare von seinem gro?en theologischen Wissen und seiner F?higkeit, ja Kunst des Erz?hlens profitierten. Zweifelsohne dominierte aber in Weigelts Professorenvita die historische Forschung, der er mit enormem Einsatz und genau geregeltem Zeitaufwand sein Leben widmete. Das oben beschriebene Werkverzeichnis zeigt Ergebnis und Erfolg dieser exzellenten historisch-kritischen Arbeit im weiten Umfeld bisher unbearbeiteter Gebiete des Pietismus
Es zeigt aber auch, dass gegenüber dieser überragenden historischen Forschungsleistung die Erschlie?ung aktueller systematisch-theologischer Probleme, die von seinem Lehrstuhl gefordert war, nicht zurückstehen musste. Weigelt wusste n?mlich auch als ?Kirchenhistoriker“ um das aktuelle theologische Potential, das in jedem zur Bearbeitung anstehenden kirchengeschichtlichen Gebiet steckt und erschlossen werden wollte. Dass er diese implizit didaktische M?glichkeit als Aufgabe erkannte, machte ihn zum Partner seines fachdidaktischen Kollegen in der theologischen Lehramtsausbildung der Universit?t Bamberg. Mit Dankbarkeit und Anerkennung für sein Wirken werden Kolleginnen und Kollegen an der Universit?t Bamberg und darüber hinaus sich seiner erinnern.
Prof. Dr. Thomas Wabel Prof. emer. Dr. Rainer Lachmann
Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg, Institut für Evangelische Theologie