Die Ost-Stoa auf der Agora von Eretria
Baugeschichte, Konstruktion, st?dtebauliche Bedeutung
Bearbeitung: Dipl. Arch. ETH Alexandra Tanner
Betreuung: Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling
Auftraggeber: Ecole suisse d‘archéologie en Grèce (ESAG),
c/o Institut d‘archéologie et des sciences de l‘Antiquité,
Université de Lausanne
Zeitraum der Bearbeitung: Oktober 2010 bis Februar 2011
Ausgangslage und Methodik
Mit der Stadterweiterung Eretrias um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. wurde an zentraler Lage, zwischen dem Hafen und dem Apollotempel, die trapezf?rmige Agora angelegt. Die Ost-Stoa, welche den Platz an seiner Ostseite begrenzt, liegt direkt an der Nord-Süd-Hauptverbindungsachse [Abb. 1]. Auf dem Grundstück wurden nacheinander zwei Hallen mit rückw?rtigen R?umen gebaut, welche anl?sslich der Ausgrabungen in den 1980er Jahren durch die Schweizerische Arch?ologische Schule in Griechenland (ESAG) in die zweite H?lfte des 6. Jhs. v. Chr. und ins 4. Jh. v. Chr. datiert wurden.
Ausgehend von diesen Grundbedingungen wurde im Rahmen der Masterarbeit eine bauforscherische und baugeschichtliche Untersuchung durchgeführt. Nebst der Auswertung der Grabungsdokumentation wurden die Bauteile aus dem Magazin vor Ort zeichnerisch aufgenommen. Mit diesen Grundlagen konnte eine Rekonstruktion ausgearbeitet und bauhistorisch eingeordnet werden.
Baubeschreibung, Konstruktion, Datierung
Die beiden aufeinander folgenden Bauten weisen die gleiche Ausrichtung sowie eine Raumgr??e von ca. 4.60 m x 4.60 m auf [Abb. 2]. Die L?nge der Hallen ist auf 90 m bzw. 100 m nachgewiesen, dürfte sich jedoch entlang der gesamten 120 m langen Ostseite des Platzes erstreckt haben.
Die Kolonnade der Stoa II ist im Vergleich zum Vorg?ngerbau zweischiffig. Die breitere Halle hatte sich in das bestehende Stadtgefüge einzuordnen, so dass die Erschlie?ung wohl teilweise in die S?ulenhalle verlegt wurde [Abb. 3, 4].
Die Ost-Stoa I
Das Sockelmauerwerk besteht aus sorgf?ltig gefügten Bruchsteinen, w?hrend sich die zum Platz hin gerichtete Kolonnade über einem durchlaufenden Fundament aus zugerichteten Bl?cken erhob. Die dem Bau zugeordneten Kalksteinfragmente eines Kapitells, des Horizontalgeisons sowie eines Epikranitisprofils zeigen auf, dass diese Teile des Oberbaus in Stein gebaut waren (Abb. 5).
Die bescheidene Fundamentierung der Kolonnade deutet auf S?ulen und Geb?lk aus Holz hin. Die Abschr?gung der Rückseite des Epikranitisprofils k?nnte auf ein Pfettendach mit offenem Dachraum hinweisen. Es kommen zwei m?gliche korinthische Dacheindeckungen, davon eine mit Spiralen-Palmetten-Antefixen in Betracht [Abb. 6, 7]. Die Architekturteile datieren den Bau in das letzte Viertel des 6. Jhs. bis zur Zerst?rung der Stadt durch die Perser im Jahr 490 v. Chr. Danach folgte ein provisorischer Wiederaufbau.
Die Ost-Stoa II
Die Fundamente der tragenden Mauern und der S?ulen bestehen aus Kalksteinbl?cken, welche Spuren von Stylobatbl?cken und Orthostaten aufweisen. Die Treppe in der Nordostecke geh?rt zur sp?teren Wiederaufbauphase. Aufgrund ihrer L?nge ist anzunehmen, dass sie zu einem über den R?umen gelegenen Lagerraum führte. M?glicherweise existierte schon zur Erbauungszeit eine Vorg?ngertreppe. Da vom Oberbau der Stoa II kein einziges Bauteil gefunden wurde, entstand die Rekonstruktion des Aufrisses aufgrund der Bedingungen aus dem Grundriss und Analogieschlüssen [Abb. 7]. Die Bautechnik der Fundamente war in Eretria im 4. und 5. Jh. v. Chr. üblich. Ein K?nnchen aus einer Bauopfergrube datiert die Erbauung der Stoa II in die erste H?lfte des 4. Jhs. v. Chr.
Typologische Einordnung
Die Ost-Stoa I, mit ihren für die sp?tarchaische Zeit beachtlichen Dimensionen, ist der erste bekannte Hallenbau mit rückw?rtigen R?umen. Dieser Typus tritt etwa ein Jahrhundert sp?ter auch in Attika auf, wo er vermutlich weiterentwickelt und anfangs des 4. Jhs. v. Chr. in Eretria für den Bau der Ost-Stoa II verwendet wurde. Diese weist bereits die Dimensionen der sp?ter im Hellenismus weit verbreiteten Hallen dieses Typs auf.
St?dtebauliche und Stadtgeschichtliche Bedeutung
Die Ost-Stoai I und II an der st?dtebaulich und verkehrstechnisch hervorragenden Lage an der Ostseite der Agora wurden aufgrund der Funde als Geb?ude, welche dem Handel dienten, gedeutet. Im Vergleich zu Athen, welches sp?ter als Eretria zu einem wichtigen Handelsplatz wurde, ma? Eretria den Bauten für den Handel seit sp?tarchaischer Zeit gr??te Bedeutung zu, was sich in der monumentalen Architektur sowie der st?dtebaulich wirksamen Inszenierung der Hallen als Teil der Gesamtanlage der Agora ausdrückte. Die beiden Bauten entstanden w?hrend Zeiten der wirtschaftlichen und au?enpolitischen Hochblüte der Stadt. Der Bau der Ost-Stoa I ging m?glicherweise mit der frühen Einführung der Demokratie im letzten Jahrzehnt des 6. Jhs. v. Chr. einher. In der Form einer monumentalen Platzrandbebauung der Agora als dem Herzstück der Stadt drückte die Ost-Stoa das auf dem Handel und der Seeherrschaft begründete Selbstbewusstsein der Polis Eretria aus.